Das Bundesverfassungsgericht hat den Vertrauensschutz von Steuerpflichtigen bei rückwirkenden Steuerverschärfungen gestärkt. Der Staat könne solche Neuregelungen grundsätzlich nicht mit dem alleinigen Ziel von Mehreinnahmen begründen.
Die Karlsruher Richter erklärten in einem Grundsatzurteil im Jahr 2010 die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist bei der Besteuerung von Gewinnen aus dem Verkauf privater Immobilien teilweise für verfassungswidrig.
Grundsatz des Vertrauensschutzes
Rückwirkende Verschärfungen des Steuerrechts seien zwar nicht grundsätzlich unzulässig, hieß es. Sie seien aber nur dann mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, wenn bei einer Abwägung zwischen dem «Gewicht des enttäuschten Vertrauens» und der Dringlichkeit der Rechtsänderung «die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt».
Veräußerungsgewinn bei Immobilien
Das Bundesverfassungsgericht billigte zwar die im März 1999 vom Bundestag beschlossene Verlängerung der Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre. Damit bleibt der Veräußerungsgewinn bei Immobilien nur dann steuerfrei, wenn zwischen Kauf und Verkauf mindestens zehn Jahre liegen. Die neue Frist galt jedoch erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1999, also ab 1. Januar 1999. Die rückwirkende Anwendung der verlängerten Spekulationsfrist verstoße in bestimmten Fällen gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, entschied nun der Zweite Senat.
Die Neuregelung sei «nichtig», soweit Wertsteigerungen steuerlich erfasst würden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes am 31. März 1999 entstanden seien. Dies gilt also für Gewinne, die nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei waren. Denn hier sei bereits «eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden», die durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist nachträglich entwertet werde. Dies führe zu einer Ungleichbehandlung. Denn bei Steuerpflichtigen, die ihr Grundstück nach Ablauf der alten Zweijahresfrist noch im Jahr 1998 verkauften, blieben die bis dahin erzielten Wertsteigerungen steuerfrei.
Mehr Steuereinnahmen kein Gemeinwohlinteresse im Grundsatz
Die «bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen», sei für sich genommen grundsätzlich kein Gemeinwohlinteresse, das den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwinde. «Denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leer liefe», betonte das Verfassungsgericht.
Die Kläger der drei Ausgangsverfahren verkauften ihre 1990 und1991 erworbenen Grundstücke im Jahr 1999 – also nach Ablauf der alten Zweijahresfrist, aber innerhalb der neuen zehnjährigen Veräußerungsfrist. Die jeweiligen Verträge wurden in zwei Fällen vor der Verkündung des neuen Rechts am 26. Februar und 16. März 1999geschlossen, in einem Fall danach am 22. April 1999. Das Finanzamt wandte jedoch in allen drei Fällen die neue zehnjährige Veräußerungsfrist an, so dass die Gewinne versteuert werden mussten.Auf die Klagen hin legten das Finanzgericht Köln und der Bundesfinanzhof die Sachen dem Bundesverfassungsgericht vor.
Im Kölner Fall kauften die Kläger 1990 ein Grundstück für 60 000D-Mark. Einen Teil verkauften sie mit Vertrag vom 26. Februar 1999für 560 000 D-Mark. Das Finanzamt rechnete jedoch den Gewinn in Höhe von 448 502 D-Mark dem zu versteuernden Einkommen zu.
(AZ: 2 BvL 14/02; 2 BvL 2/04; 2 BvL 13/05 – Beschluss vom 7. Juli2010)