Stuttgart (ddp). Hässlich, kalt, geschmacklos – lange Zeit war der Baustoff Beton bei Bauherren von Eigenheimen und Mehrfamilienhäusern denkbar unbeliebt. Kauf- und Parkhäuser der 70er Jahre sowie überdimensionierte Hochhaus- oder Feriensiedlungen, die eher schlecht als recht in die Landschaft passten, waren als «Bunker» oder «Betonburgen» verpönt. «Doch die Wahrnehmung dieses Werkstoffs hat sich in den letzten Jahren merklich gewandelt», sagt Friedrich Grimm, Architekt und Honorarprofessor für Baukonstruktion an der Universität Stuttgart.
«Ein an Nachhaltigkeit und Haltbarkeit orientierter Zeitgeist hat Beton als Baustoff wieder ins Blickfeld gerückt», ist seine Erfahrung. Bei vielen anspruchsvollen Bauherren und Architekten von Eigenheimen sei Sichtbeton derzeit ausgesprochen trendy, sagt der Autor des kürzlich erschienenen Bildbandes «Die besten Einfamilienhäuser aus Beton» (Callwey Verlag).
Als künstliches Produkt aus den Naturstoffen Kalkstein und Ton für den Zement sowie Sand, Kies und Wasser für den Zuschlag erfüllt Beton nach Grimms Worten geradezu exemplarisch die Anforderungen, die aus heutiger Sicht an das ökologische Bauen gestellt werden. Dies beginne bereits bei der Herstellung im Zementwerk, wo wirksame Elektrofilter eine emissionsfreie Produktion gewährleisteten. Kurze Transportstrecken seien durch ein dichtes Netz von Steinbrüchen, Zementfabriken und Betonwerken sichergestellt und nach einem Abriss könne man die Bruchstücke anstelle von Sand oder Kies für eine neue Betonmischung wieder verwerten.
Aus gestalterischer Sicht liegt die große Stärke von Beton nach Angaben des Stuttgarter Architekten in einer Vielzahl kombinierbarer Eigenschaften. «Beton ist eine Matrix mit vielen Variablen», sagt Friedrich Grimm. Das beginnt bei der Färbung. Durch die Zugabe von Pigmenten aus Metalloxiden kann das ursprüngliche Grau in rötliche, gelbe oder gar grüne Töne gewandelt werden. «Wer auf einen Kubikmeter Beton zehn Kilo Pigment zugibt, erhält einen komplett anderen Farbton», lautet die Faustregel des Experten.
Die Beschaffenheit der zugeschlagenen Kiesel ist ein weiteres Gestaltungsinstrument. Sie können wahlweise rund oder eckig, angeraut, geschliffen oder poliert sein und verleihen so der Fassade die persönliche Note. «Mit der Wahl hellen Rheinkiesels oder eher dunkler Steine, die vermehrt im Alpengebiet vorkommen, formulieren Bauherren auch gern ihre regionale Verbundenheit», weiß Friedrich Grimm aus Erfahrung.
Die Oberfläche des erhärteten Betons bestimmt am Ende die architektonische Wirkung des Bauwerks oder Bauteils und spiegelt laut Grimm mit ihrer Struktur den Herstellungsprozess wider. «Mit Sichtbeton zu planen, bedeutet, die beim Guss verwendete Schalung zu gestalten», erklärt der Architekt. Der Vorteil von saugenden Schalungen, zum Beispiel aus naturbelassenen Brettern, Bohlen, unbeschichteten Tafeln oder textilen Schalungsbahnen, besteht in der Möglichkeit, durch den Entzug von Luft oder Überschusswasser aus den Betonrandzonen weitgehend porenfreie Ansichtsflächen herzustellen. Im Gegensatz dazu liefern nicht saugende Schalungen, etwa aus Stahlblech oder Kunststoff, nahezu spiegelglatte, aber nicht immer porenfreie Oberflächen, weil sie beim Trockenen und Aushärten kein Überschusswasser abführen können.
Auch die Schallschutz-Eigenschaften von Beton können sich nach Grimms Worten mit modernen Ansprüchen messen lassen. Gleiches gelte für den Brand- und Wärmeschutz. «Die hohe Rohdichte des Materials gewährleistet hohe Schalldämmung», erklärt der Experte. Im Fall eines Feuers bleibt Beton bei Temperaturen bis zu 1000 Grad fest, trägt nicht zur Brandlast bei und leitet den Brand nicht weiter. Beim Wärmeschutz bietet Leichtbeton ohne zusätzliche Isolierschicht ab einer Dicke von 40 Zentimetern laut Grimm eine Dämmung, die den heutigen Ansprüchen genügt. «Wenn Beton mit der Raumluft unmittelbar in Berührung steht, leistet er zudem einen Beitrag zum Zimmerklima, indem er gespeicherte Wärme oder Kühle zeitverzögert an die Raumluft abgibt», erklärt der Architekt. Im Sommer kann dank der Nachtabkühlung eine Überhitzung vermieden werden, im Winter speichern die Massivbauteile die Sonnenwärme.
Eine verhältnismäßig neue Möglichkeit der Raumklimatisierung besteht nach Friedrich Grimms Angaben darin, den Beton selbst thermisch zu aktivieren: «Ähnlich einer Fußbodenheizung werden Kunststoffrohre bereits beim Rohbau in die Schalung mit eingebaut.» Durch Zirkulation von warmem oder kaltem Wasser werde der Raum entweder geheizt oder gekühlt. Bei dieser Methode der Temperierung entstehen laut Grimm keine unerwünschten Luftbewegungen im Raum und in der Heizperiode erlauben thermisch aktivierte Wände eine Absenkung der Raumtemperatur um bis zu zwei Grad, ohne dass es sich zu Hause weniger behaglich anfühlt.
(ddp)