Braunschweig/Weihenstephan (ddp). Küsst sich ein Pärchen unter dem Mistelzweig, so bleibt es für immer zusammen. Diese Legende hat die Mistel sehr populär gemacht. Insbesondere zur Weihnachtszeit leben alte Bräuche wie dieser wieder auf, wenn die Misteln geschnitten und zu Sträußen gebunden werden. «Meistens küsst man sich unter der Weißbeerigen Mistel, die in einigen Landstrichen häufig zu finden ist, vor allem auf Pappeln oder Obstbäumen», sagt Dr. Wohlert Wohlers vom Julius-Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Braunschweig.
Die Mistel gehört zu den ältesten Zauber- und Heilpflanzen der Welt. Bereits in der griechischen Mythologie findet sie Erwähnung, dort werden ihr magische Kräfte zugeschrieben. Bei den Galliern schnitten die Priester Mistelzweige für rituelle Handlungen. Und auch Druide Miraculix aus «Asterix und Obelix» verwendet frisch geschnittene Misteln als Hauptbestandteil seines legendären Zaubertrankes.
Die sagenumwobenen Misteln sind allerdings Halbparasiten, die an Bäumen auch zu Schäden führen können. Mit Hilfe der grünen Blätter kann die Mistel ähnlich einer vollwertigen Pflanze Photosynthese betreiben. Die erforderlichen Nährstoffe bezieht sie jedoch über eine Wirtspflanze und schwächt diese damit. Die immergrünen, kugelförmigen Gebilde fallen insbesondere im Winter auf, wenn sie sich von den kahlen Bäumen deutlich abheben. Mistelbüsche wachsen nur sehr langsam: «Ein Zweig, der zu Weihnachten unser Haus schmücken soll, stammt von einer mindestens zehnjährigen Pflanze», erklärt Wohlers.
Die Weißbeerige Mistel, mit wissenschaftlichen Namen Viscum album, tritt je nach Gehölzart in drei verschiedenen Unterarten auf: Die Laubholz-Mistel kommt an vielen laubabwerfenden Gehölzen vor, insbesondere an Apfelbäumen, Linden, Pappeln und Ahorn-Arten. Die Tannen-Mistel wächst auf Weißtannen, die Kiefern-Mistel auf Kiefern und Fichten.
Die weißlichen Beeren reifen im Dezember und bilden dann für Vögel, insbesondere für Drosseln, eine willkommene Nahrungsquelle. Der Wortstamm «Mist» war für den altgermanischen Pflanzennamen dabei namensgebend. «Bezogen wird sich hierbei auf die Tatsache, dass der Samen dieser Pflanze durch den Vogelkot auf die Bäume gelangt», erklärt Thomas Lohrer, Agraringenieur vom Institut für Gartenbau an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Misteln blühen erst nach fünf Jahren das erste Mal. Dabei sind die männlichen und weiblichen Blüten auf getrennten Pflanzen zu finden, nur die weiblichen haben später Früchte. Deswegen trägt nicht jede Mistelkugel Beeren.
Weil Misteln ihre Wirtspflanzen schwächen, werden sie insbesondere im Erwerbsobstanbau nicht geduldet. Im Klein- und Hobbygarten können sie aber durchaus ansprechend aussehen. Wenn sie im Kronenbereich großer Bäume wachsen, ist es ohnehin sehr schwer, sie dort zu entfernen. «Gartenbesitzer mit Misteln in Kinderreichweite sollten sich jedoch aus Vorsorge von den Mistelbüschen trennen: Die Pflanze ist giftig», sagt Lohrer. Zum Entfernen müssen die Misteln tragenden Äste im Winter unterhalb der in der Rinde verlaufenden Stränge abgesägt werden. Ein einfaches Abbrechen der Mistel sei langfristig nicht erfolgreich, da sie sich aus den im Holz verbleibenden Wurzelsträngen wieder regenerieren könne, sagt Lohrer.
Misteln werden schon lange als Volksheilmittel eingesetzt. Auch heute finden sich Mistelextrakte in einer Vielzahl an Medikamenten wieder: Innerlich angewandt werden sie bei Bluthochdruck, Arteriosklerose, nervöser Anspannung und Krebserkrankungen. Äußerlich kommen sie bei Arthritis, Rheuma, Frostbeulen oder Beingeschwüren zum Einsatz.
Es gibt wohl nur wenige Pflanzen, die medizinisch genutzt werden und gleichzeitig eine so starke Bindung zum Mystischen haben. Wer aber selbst ausprobieren möchte, ob die Mistel zum Beispiel ewige Liebe garantiert, sollte folgendes bedenken: Dem keltischen Glauben zufolge durfte die Mistel nur mit einer goldenen Sichel geschnitten werden. «Da dieses heute selten geschieht, scheint auch der Kuss unter dem Mistelzweig so selten anzuschlagen», so Wohlert Wohlers. Außerdem sei laut Legende Bedingung, dass man bis zur zwölften Nacht, also bis zum Tag der Heiligen Drei Könige, den Zweig verbrennen muss. Es kommt eben auf alle Feinheiten eines Rituals an.
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